Januar 22, 2021 Matthias Weber

Künstliche Torheit

Über die Grenzen maschinellen Lernens.

Als Anleger sind Sie die Negativzinsen auf ihrem Sparkonto Leid und überlegen sich, mehr in Aktien anzulegen. Ihr Anlageberater erwartet für kommendes Jahr eine Aktienrendite von acht bis zehn Prozent – eigentlich wie jedes Jahr, seit Sie mit ihm zusammenarbeiten.

Sie googeln nach «erfolgreichen Aktienstrategien» und stossen auf Werbung für den neu aufgelegten Fonds «Global AI-driven Equity». Er investiert in Aktien auf Basis künstlicher Intelligenz. Eine Simulation zeigt, dass er die letzten 20 Jahre jede Krise herausragend gemeistert hätte. Jedes Jahr hätte eine positive Performance resultiert. Für kommendes Jahr verspricht das Modell trotz Erwartung eines Aktiencrashs eine Fonds-Performance von 15 bis 25 Prozent!

Ihr Anlageberater hat offenbar keine Ahnung, was kommendes Jahr auf die Investoren zukommt. Der AI-Fonds weckt grosse Erwartungen, wird er sie erfüllen können?

Auf wen sollen Sie hören, wem ihr Geld anvertrauen?

Ihr Vermögensverwalter arbeitet mit einer einfachen Faustregel: Aktien erzielten die letzten Jahrzehnte pro Jahr acht bis zehn Prozent Performance. Also werden sie das auch nächstes Jahr tun. Im Schnitt liegt er damit gut. Im einzelnen Jahr sind die Fehlprognosen aber enorm. Immerhin ist Ihnen dies bewusst. Sein Rat ist simpel aber durchaus hilfreich: «Kaufen Sie Aktien und haben Sie einen langen Atem. Kurzfristig kann es schiefgehen, langfristig wird sich dies auszahlen.»

Der AI-Fonds hingegen hat mittels «Machine Learning» die vergangenen zwanzig Jahre intensiv nach Mustern abgeklopft. Damit konnte er sich in der Simulation zu jedem Zeitpunkt optimal positionieren. Alles scheint perfekt. Doch der Schein trügt. Das Modell ist offensichtlich überangepasst! Je mehr Freiheiten und damit Komplexität einem Modell gewährt werden, desto präziser vermag es die Vergangenheit abzubilden. Die Coder unterlagen offenbar der Versuchung, selbst rein zufällige, instabile Muster in der Optimierung zu berücksichtigen, um eine trügerisch perfekte Simulation zu generieren.

Das heisst aber auch, dass das Modell äusserst sensitiv auf kleinste Veränderungen reagiert: Hätte sich die Vergangenheit nur leicht anders abgespielt, wäre das Modell rasch weit danebengelegen. Mit dieser Instabilität ist es für die Zukunft völlig untauglich. Es agiert ähnlich einem Autofahrer, der nur in den Rückspiegel schaut. Aber die Vergangenheit wiederholt sich nicht. Die Welt ist nicht stationär. Sie verändert sich. Das Versprechen des Fonds «Global AI-driven Equity» ist unseriös. Es basiert lediglich auf Simulationen und nicht einem konkreten Leistungsausweis in der realen Welt. Das Modell wird folgenschwere Fehlsignale liefern. Sie können enorm viel Geld verlieren.

Warum Prognosemodelle auf den Finanzmärkten zum Scheitern verurteilt sind, aber niemand gern darüber spricht, behandeln wir im folgenden Beitrag.

Hintergrundinformationen für Interessierte:

Fortmann-Roe, Scott (2012): Understanding the Bias-Variance Tradeoff.

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