April 1, 2021 Matthias Weber

Ein Weg aus der Krise?

2. Lösungsansatz

Die Welt ist unsicher, COVID-19 hat uns die Risiken weiter verdeutlicht.

Die Zentralbanken tun, was sie können, aber selbst das scheint nicht zu reichen.

Unternehmen und Haushalte sind schon genug verschuldet, sie agieren vorsichtig und sparen.

Das Resultat: Schwaches Wirtschaftswachstum, das sich strukturell infolge Überalterung und geringer Produktivitätsgewinne weiter abzuschwächen scheint. Deflation bei Gütern und Dienstleistungen, Inflation bei Vermögenswerten.

Und: ein zu geringes Angebot an sicheren Anlagen. Falls die Märkte Staatsschulden als riskant ansehen, sind sie eben keine sicheren Anlagen. Entsprechend führt eine Zunahme des Angebots an Staatsanleihen nicht zwingend zu einer Zunahme an sicheren Anleihen, eher geschieht das Gegenteil. Je mehr Staaten sich hoch verschulden, desto geringer das Angebot an sicheren Anlagen.

Neigen viele Markteilnehmer zur Vorsicht, so trifft folglich eine grosse Nachfrage nach sicheren Anlagen auf ein geringes Angebot, deren Preis steigt bzw. deren Zins sinkt.

In einem solchen Umfeld sinkt der Gleichgewichtszins, also jener Realzins, der die Wirtschaft bei Vollbeschäftigung und mässigem Preisanstieg operieren lässt.

Ist der Gleichgewichtszins jedoch so tief, vermögen die Zentralbanken ihre Geldpolitik kaum mehr umzusetzen, denn sie können die Leitzinsen nicht beliebig tief unter Null senken.

Die Lösung könnte also lauten: Der Gleichgewichtszins muss wieder erhöht werden.

Damit würde die Geldpolitik nicht mehr dauernd die Leitplanken streifen, sondern auf die Mitte der Strasse zurückfinden und Spielraum für künftige Schockbewältigungen erlangen.

Das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Zentralbanken würde wieder zunehmen, die Furcht vor Schocks abnehmen, die Investitionsneigung ansteigen, was wiederum die Realzinsen positiv beeinflussen und den Gleichgewichtszins weiter anheben würde.

Wie aber lässt sich der Gleichgewichtszins nachhaltig anheben?

Da sowohl Geld- wie Fiskalpolitik an ihre Grenzen stossen, müssen sich diese gegenseitig unterstützen. Um einerseits insgesamt genug Wirkung zu erzielen, aber auch um jeweils selbst wieder mehr Spielraum zu gewinnen. Weder die Geldpolitik noch die Fiskalpolitik kann sich allein aus ihren Zwängen befreien, das geht nur gemeinsam – wenn überhaupt.

Tatsächlich deuten die aktuellen Entwicklungen in diese Richtung: Konjunkturpakete in noch nie gesehenem Ausmass, Versprechen langanhaltender Tiefzinspolitik und faktische Kreditrisikogarantien durch die Zentralbanken, personelle Rochaden von Zentralbankern wie Draghi und Yellen in die Regierung, von Lagarde vom IMF in die EZB.

Und so lautet die Theorie:

Die tiefen Zinsen werden genutzt, um Staatsausgaben zu erhöhen, um die Investitionstätigkeit anzukurbeln. Diese Schulden werden teilweise monetarisiert, um auch die Inflation auf den Zielkorridor anzuheben. Teilweise werden die Schulden nicht monetarisiert, was den Pool an sicheren Anlagen erhöht und damit deren Knappheit reduziert bzw. deren Zinsen positiv beeinflusst.

Kurzfristig höhere Staatsinvestitionen sollen langfristig mehr private Investitionen auslösen, bspw. durch Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und Investitionsförderungen über die Besteuerung. Sind die Zinsen tief, ist der fiskalische Multiplikator besonders hoch, ist doch eine Verdrängung des Privatsektors durch den Staat wenig wahrscheinlich.

Zudem könnten durch eine Einkommensumverteilung und die Sicherung der Vorsorgesysteme die Verunsicherung reduziert, Konsum und Investitionstätigkeit weiter gestärkt werden.

Das Staatsdefizit wird also temporär erhöht, ohne ein Versprechen, all diese Defizite künftig wieder auszugleichen. Denn nur so resultiert ein Wachstumsimpuls. Andernfalls halten sich Unternehmen und Haushalte in Erwartung höherer Steuern weiterhin zurück.

Die Märkte könnten nun die Kreditwürdigkeit des Staates in Frage stellen, eine Risikoprämie auf Staatsanleihen verlangen und so den Wachstumsimpuls vernichten. Das Gegenmittel: Die Zentralbanken garantieren den Nominalwert der Staatsanleihen durch Androhung unbeschränkter Interventionen. Damit wird die Kreditrisikoprämie eliminiert.

Eine solche Garantie setzte 2012 die EZB um: Allein mit der Ankündigung Draghis von vorbehaltlosen Aufkäufen kurzfristiger Staatsanleihen – «whatever it takes» – vermochte sie die Wirksamkeit ihrer Geldpolitik im gesamten Euroraum wieder herzustellen. Dies, ohne je tatsächlich solche Aufkäufe getätigt haben zu müssen.

Regierungen und Zentralbanken agieren also koordiniert. Fiskalpolitik und Geldpolitik werden aufeinander abgestimmt:

Die Zentralbanken sorgen mit günstigen Finanzierungskonditionen für fiskalischen Spielraum. Zudem schützen sie den Anleihenmarkt vor einem Run mit Androhung unbeschränkter Interventionen. Damit erweitern sie faktisch auch das Angebot an sicheren Anlagen.

Die Regierungen sorgen in Zeiten von Sparüberschüssen für mehr Investitionstätigkeit und somit für einen Anstieg des Gleichgewichtszinses. Sie schützen die Bilanzen der Zentralbanken vor negativem Eigenkapital, indem das Treasury die Zentralbank bei Bedarf rekapitalisiert, sodass diese auch bei grossen Verlusten auf ihrem Wertschriftenportfolio die Kontrolle über Geldmenge und Inflation nicht verliert.

Mehr Wachstum, mehr Inflation, eine Normalisierung der Zinsen und damit mehr Handlungsspielraum für die Zentralbanken. Das klingt gut, aber:

Führt dieser Ansatz schleichend zu einer Staatsfinanzierung über die Notenpresse?
Verlieren die Zentralbanken ihre Unabhängigkeit?
Geraten die Inflationserwartungen ausser Kontrolle?
Ist die erhöhte Verschuldung angesichts der tiefen Finanzierungskosten ein Problem?
Gelingt der rechtzeitige Ausstieg?
Ist eine internationale Koordination unerlässlich?
Spielen die Märkte mit?

Überlegungen zu diesen Fragen diskutieren wir in der Fortsetzung.

Diese Überlegungen basieren stark auf dieser hervorragenden Abhandlung:

Bartsch, Elga; Bénassy-Quéré, Agnès; Corsetti, Giancarlo; Debrun, Xavier (2020). It’s All in the Mix: How Monetary and Fiscal policies Can Work or Fail Together. Geneva Reports on the World Economy 23. Centre for Economic Policy Research.

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