April 9, 2021 Matthias Weber

Ein Weg aus der Krise?

3. Herausforderungen

Mehr Wachstum, mehr Inflation, eine Normalisierung der Zinsen und damit mehr Handlungsspielraum für die Zentralbanken.

Dies soll also erreicht werden mit einer Koordination von Fiskal- und Geldpolitik, mit einem neuen Policy-Mix:

Die Zentralbanken sorgen mit günstigen Finanzierungskonditionen für fiskalischen Spielraum. Die Regierungen kurbeln über Mehrausgaben und Umverteilungen die Investitionstätigkeit an. Mittels Androhung unlimitierter Anleihenkäufe eliminieren die Zentralbanken faktisch das Kreditrisiko und erweitern so das Angebot an sicheren Anlagen. Gleichzeitig versorgt die Regierung die Zentralbank bei Bedarf mit frischem Eigenkapital. All diese Massnahmen sollen die Angst vor neuen Schocks dämpfen, das Wachstum fördern, einen Anstieg des realen Gleichgewichtszinses sowie ein Erreichen der gesteckten Inflationsziele bewirken.

Die Lösung des gordischen Knotens? Oder als Perpetuum mobile zum Scheitern verurteilt?

Führt dieser Ansatz schleichend zu einer Staatsfinanzierung über die Notenpresse?
Ja. Der Staat finanziert seine neuen Ausgaben nicht über Steuern, er leiht sich das benötigte Geld auch nicht primär aus. Stattdessen wendet er sich an die Zentralbank, die die Notenpresse anwirft und damit den Kontostand des Staates bei der Zentralbank erhöht.

Verlieren die Zentralbanken ihre Unabhängigkeit?
Sehr wahrscheinlich. Ein guter Policy-Mix funktioniert nur, wenn unabhängige Instrumente durch unabhängige Entscheidungsträger umgesetzt werden. Wenn aber die Zentralbank direkt oder via Aufkauf von Staatsanleihen das Defizit des Staates finanziert, dann wird die Geldpolitik faktisch ein Element der Fiskalpolitik: Eine solche Koordination führte historisch immer wieder zur Dominanz der Fiskalpolitik über die Geldpolitik.

Geraten die Inflationserwartungen ausser Kontrolle?
Wahrscheinlich. Die seit vielen Jahren zu tiefe Inflation mag als Zeichen für das Versagen des bisherigen Policy Mix gesehen werden. Allerdings erlebten wir bereits in den vergangenen zwei Jahrzehnten Inflation, weniger bei Gütern und Dienstleistungen, umso mehr aber bei den Vermögenswerten.

Was ist zu erwarten, wenn gleichzeitig das Wachstum über Staatsverschuldung stark angekurbelt wird und die Unabhängigkeit und damit die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken unter Druck kommt? Die Inflationserwartungen dürften ihren Anker verlieren und ausser Kontrolle geraten.

Damit würde die Garantie des Nominalwerts von Staatsanleihen durch die Zentralbanken mittels «whatever it takes» wertlos: Statt einer Kreditrisikoprämie bauten sich eine Inflationsprämie und eine Unsicherheitsprämie auf. Damit stiegen auch die Kreditkosten für den Privatsektor und Wechselkursverwerfungen führten zu weiteren Problemen. Der neue Policy Mix würde nicht weniger, sondern mehr Verunsicherung und geringere Investitionstätigkeit bewirken.

Ist die erhöhte Verschuldung angesichts der tiefen Finanzierungskosten ein Problem?
Ja. Zwar nimmt die Verschuldungsquote ab, solange Zinsen plus Primärdefizit unter dem nominalen Wirtschaftswachstum liegen. Je länger der Staat also die aktuell tiefen Zinsen anbinden kann, umso besser.

Früher oder später muss sich der Staat aber refinanzieren. Wenn dann die Inflationserwartungen ausser Kontrolle sind und auch die Unsicherheitsprämien entsprechend hoch sind, muss er sich teuer refinanzieren.

Muss danach die Inflation mit restriktiver Geld- und Fiskalpolitik bekämpft werden, geht das Wirtschaftswachstum stark zurück, weit unter die Zinskosten. Damit droht ein massiver Anstieg der Verschuldung, sie wird womöglich untragbar.

Gelingt der rechtzeitige Ausstieg?
Kaum. Der Ansatz unterschätzt die Schwierigkeit der Steuerung der Inflation: Wirtschaftssysteme sind komplex, adaptiv, nicht linear.

Etwas höhere Inflationserwartungen wären sinnvoll. Aber wie kann man sicherstellen, dass diese rechtzeitig auf dem angestrebten Niveau neu verankert werden können? Der Staat macht sich abhängig von der Finanzierung über die Notenpresse. Die Entscheidungsprozesse beim Staat sind nicht so agil wie bei den Zentralbanken. Die Politik neigt zu Gemächlichkeit, Aussitzen, Kompromissen. Sie wird die Steuern nicht rechtzeitig erhöhen und die Zentralbanken am Ausstieg hindern.

So geschehen in den USA während des zweiten Weltkriegs: Die Regierung verpflichtete die Zentralbank, die Zinsen mittels Anleihenkäufen tief zu halten. Es dauerte bis 1951, nach einem seit 1947 starken Anstieg der Inflation und heftigen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Zentralbank, bis sich die Zentralbank durchsetzen konnte.

In Grossbritannien erhielt die Zentralbank nach dem zweiten Weltkrieg ebenfalls den Auftrag zur Kontrolle der Zinskurve. Aber erst 1971, als die Inflation endgültig aus dem Ruder lief, durfte bzw. musste sie diese Kontrolle aufgeben.

Ein Exit müsste also sorgfältig geplant und mit klaren Regeln basierend auf dem Inflationsausblick versehen werden. Der Druck der Fiskalpolitik dürfte nicht überhandnehmen.

Lange Laufzeiten der Schuldpapiere könnten helfen, denn so würden die nach dem Exit höheren Zinsen den Staat nur graduell belasten. Allenfalls müssten separate Finanzierungsgefässe durch die Zentralbank kreiert werden, um das Volumen der Interventionen in Schach zu halten.

Ist eine internationale Koordination unerlässlich?
Ja. Kein Land kann für sich allein erfolgreich sein. Gelänge es einem Land, den realen Gleichgewichtszins anzuheben, würde dies zu Kapitalzuflüssen aus dem Ausland führen. Der Wechselkurs würde ansteigen, Deflation würde importiert, die Zinsen würden wieder sinken.

Somit müssten sich also beispielsweise die G20-Staaten auf ein Zielband für den realen Gleichgewichtszins einigen. Ähnlich dem Klimaabkommen von Paris 2015 mit dem Beschluss, die globale Klimaerwärmung auf deutlich unter 2 °C zu begrenzen.

Die jüngsten Aktivitäten in der Bekämpfung der Coronakrise zeigen zwar die globale Bereitschaft zu noch nie dagewesenen Konjunkturpaketen. Ist hierbei jedoch angesichts der Handelskriege und des Misstrauens zwischen China und dem Westen ein koordiniertes Vorgehen zu erkennen?

Spielen die Märkte mit?
Nein. Über Jahrzehnte wurde die Bedeutung der Unabhängigkeit der Zentralbanken beschworen. Der EU-Stabilitätspakt galt trotz aller Mängel als globale Richtschnur für eine solide Fiskalpolitik. Sparsame Nationen wie Deutschland oder die Schweiz lagen in der Gunst der Obligationen-Anleger.

Ein Paradigmenwechsel fordert die Märkte heraus. Sie werden testen, wie konsequent die Zentralbanken den rechtzeitigen Exit erkennen und umsetzen, wie entscheidungsfähig sie noch sind. Die historisch hohe Verschuldung wird für Nervosität auf den Märkten sorgen. Wer wird diese in Zukunft zu welchem Preis finanzieren? Unsicherheit führt zu Risikoprämien. Diese in Schach zu halten wird für die Zentralbanken zur grossen Herausforderung.

Diese Überlegungen basieren stark auf dieser hervorragenden Abhandlung:

Bartsch, Elga; Bénassy-Quéré, Agnès; Corsetti, Giancarlo; Debrun, Xavier (2020). It’s All in the Mix: How Monetary and Fiscal policies Can Work or Fail Together. Geneva Reports on the World Economy 23. Centre for Economic Policy Research.

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